Jungfernhäutchen Ade: Eine Hymne auf das Hymen
Das Hymen ist den meisten wohl besser bekannt als Jungfernhäutchen. Damit verbunden ist die Vorstellung, dass es sich beim Hymen um eine Membran handelt, die bei der ersten vaginalen Penetration – quasi wie ein Hygienesiegel – durchbrochen wird. Hierbei handelt es sich allerdings um ein großes Missverständnis. Was das Hymen wirklich ist und welche Funktion das „Jungfernhäutchen“ tatsächlich hat, verraten wir Dir in diesem Artikel.
Was ist das Hymen?
Das Hymen ist ein Schleimhautsaum, den man sich wie einen dehnbaren Kranz oder Ring um die Vaginalöffnung vorstellen kann. Deshalb trägt das Hymen auch den Namen vaginale Korona. Korona ist das griechische Wort für Kranz oder Krone. Es handelt sich also nicht um eine durchgängige Haut, wie der Name Jungfernhäutchen fälschlicherweise annehmen lässt, sondern um eine ringförmige Hautmembran im inneren der Vagina.
Dieser Kranz wird beim „ersten Mal“ jedoch nicht zerstört, weshalb alle Menschen mit Vagina auch ein „Jungfernhäutchen“ haben, egal wie häufig sie schon Sex hatten. Denn das Hymen ist sehr flexibel, sodass man auch schon vor dem „Entjungfern“ einen Tampon oder einen Finger in die Vagina einführen kann.
# Schon gewusst?
Vagina beschreibt den Muskelschlauch, der im Körperinneren liegt und zur Gebärmutter führt. Die äußeren weiblichen Geschlechtsteile – bestehen aus Schamlippen und Klitoris – heißen Vulva.
Wie sieht das Hymen aus?
Grundsätzlich ist die Form, Farbe und die Größe des Hymens so individuell wie die von Ohrläppchen oder Vulvalippen. Es lassen sich allerdings wiederkehrende Merkmale feststellen. Da das Hymen aus dünnen Schleimhautfalten besteht, ergeben sich je nachdem wie fest oder locker diese gefaltet sind verschiedene „Muster“. Je dicker der Schleimhautsaum ist, desto weißlicher wird sein Aussehen.
Sollten die Öffnungen im Hymen zu klein sein oder gar komplett fehlen, müssen sie mit medizinischer Hilfe vergrößert bzw. geöffnet werden, damit Blut während der Periode und andere Sekrete abfließen können. Dies ist jedoch äußerst selten der Fall.
# Fun-Fact
Ein vollständig verschlossenes Hymen entspricht zwar dem gängigen (Miss)Verständnis des Begriffs „Jungfernhäutchen“, kommt allerdings nur sehr selten vor, nämlich in etwa 0,02 -0,00625 % aller Fälle.
Wo liegt das Hymen?
Anatomisch gesehen liegt das Hymen etwa 1-2 cm direkt innerhalb der Vaginalöffnung. Allerdings lässt sich am Hymen nicht ablesen, ob eine Person schon einmal penetriert wurde oder nicht. Der Schleimhautkranz ist so dehnbar, dass es zu keinen Veränderungen beim Einführen von Tampons, Vibratoren oder Penissen kommt. Einzig durch die vaginale Entbindung eines Kindes verändert sich die Form des Hymens.
Warum gibt es ein Jungfernhäutchen bzw. Hymen?
Du fragst Dich nun: Was ist die Funktion des Jungfernhäutchens bzw. des Hymens? Tatsächlich gibt es hierfür eine logische Erklärung. Und zwar handelt es sich um ein Überbleibsel aus der Phase, in der man selbst noch während der Schwangerschaft als Fötus im Bauch der eigenen Mutter war.
Das Baby ist in der Gebärmutter mit Fruchtwasser umgeben. Damit diese Flüssigkeit über die Vagina des Fötus nicht ins Körperinnere gerät, ist die Vagina mit einer dünnen Hautschicht versiegelt. Diese reißt allerdings während der Geburt auf – übrig bleibt nur noch das Hymen.
Der Mythos, dass das Jungfernhäutchen auch noch lange nach der Geburt eine durchgängige Haut ist, hält sich nach wie vor hartnäckig. Wissenschaftlich ist das jedoch einfach nicht korrekt.
Bluten beim ersten Mal: Reißt das Jungfernhäutchen?
In vielen Kulturkreisen gilt Blut auf dem Bettlaken als Beweis für Jungfräulichkeit, da das Jungfernhäutchen angeblich (!!) mit der erfolgreichen ersten Penetration durch den Penis zerstört wird.
Nun haben wir schon gelernt, dass das Hymen keine undurchdringbare Haut ist, die kraftvoll durchstoßen werden muss, sondern vielmehr ein durchlässiger Gewebering, rund um den Vaginaleingang. Dennoch kommt es immer wieder vor, dass Frauen und Mädchen beim ersten Mal Sex bluten. Was ist hier los?
Tatsächlich blutet die überwiegende Mehrheit der Menschen mit Vagina beim ersten Geschlechtsverkehr nicht. Blutungen kommen beim „ersten Mal“ zwar vor, aber meist nicht durch das „Reißen des Jungfernhäutchens“, sondern vielmehr durch Risse der Vaginalwand, die durch zu wenig natürliche Feuchtigkeit verletzt wird.
Konkret bedeutet das: Wenn es beim ersten Mal blutet, liegt es daran, dass die Vagina nicht feucht genug ist bzw. zu angespannt ist. Das Verwenden von Gleitgel und ein ausführliches Vorspiel können helfen, die Feuchtigkeit (auch Lubrikation genannt) anzukurbeln und das Risiko für Verletzungen beim Sex zu lindern.
Angst und Unsicherheit können zudem dazu beitragen, dass der Körper und damit auch die Vagina angespannt ist. Oft ist das erste Mal nervenaufreibend – Entspannung sieht anders aus. Wenn Du Dich noch nicht bereit fühlst, einen Penis in Deine Vagina aufzunehmen, ist das total in Ordnung. Sprich mit Deinem Gegenüber. Lass Dir Zeit und versuche es an einem anderen Tag nochmal, falls Deine Anspannung zu groß ist.
# Fun-Fact
Sollte das Hymen tatsächlich einmal einreißen, heilt es relativ schnell von selbst wieder.
Hymenrekonstruktion: Gefährlicher Trend um die Jungfräulichkeit
Wie bereits erwähnt, kommt dem Jungfernhäutchen in vielen Kulturen weltweit eine große Bedeutung zu. Auch wenn es faktisch nicht möglich ist, über das Hymen zu bestimmen, ob jemand bereits Geschlechtsverkehr hatte oder nicht, ist es ein Ausschlaggeber für Jungfräulichkeit und damit auch für Reinheit und Unschuld.
Viele Frauen, die vor der Ehe bereits Sex hatten, fürchten um ihr Ansehen und ihre Ehre und unterziehen sich einer Hymenrekonstruktion. Dieser Eingriff soll das Jungfernhäutchen wiederherstellen. Aus medizinischer Sicht ist ein solcher Eingriff allerdings sinnlos, denn wie bereits erwähnt, wird das Hymen beim Sex nicht zerstört.
Hinter diesem Eingriff steht die Hoffnung auf die gewünschte Blutung in der Hochzeitsnacht. Eine Garantie, dass diese auch eintritt gibt es allerdings nicht. Mit einer solchen Hymenrekonstruktion wird ein medizinisch nicht notwendiger Eingriff vorgenommen, der im schlechtesten Fall mit starken Nebenwirkungen für die Frau endet, jedoch immer mit einer klingelnden Kasse für die durchführenden Ärzt:innen (wobei es natürlich nicht nur schwarze Schafe gibt).
Wie so oft ließe sich auch beim Thema Jungfräulichkeit mit Aufklärung viel Leid ersparen. Denn dieses Konstrukt der unbefleckten Jungfrau ist ebenfalls ein Auswurf patriarchaler Strukturen, auf den sich locker verzichten lässt. Und dort, wo noch so unermüdlich stark an kulturellen Strukturen festgehalten wird, dass kein Durchdringen ist, empfiehlt es sich, lieber mit Kunstblut zu arbeiten als sich waghalsigen, nicht notwendigen medizinischen Eingriffen zu unterziehen.
Fazit: Hymen hat nichts mit Jungfräulichkeit zu tun!
Der Begriff Jungfernhäutchen könnt Ihr getrost verstauben lassen. Denn das Hymen hat rein gar nichts damit zu tun, ob jemand schon einmal Sex hatte oder nicht. Blutungen beim ersten Mal stammen nicht daher, dass eine Haut durchstoßen wird, sondern von kleinen Verletzungen in der Vagina, die daher kommen, dass die Frau nicht feucht genug ist. Das Hymen, oder auch vaginale Korona, ist letztendlich nicht mehr als ein Überbleibsel der Entwicklung im Mutterleib. Zeit also, die alten Sex-Mythen der Jungfräulichkeit zu vergessen!