Homosexualität erklärt
Wohl jede nicht-heterosexuelle Person kennt diese Frage: Wieso bist Du queer, schwul, lesbisch, bi, trans oder, oder, oder? Die Antwort darauf fällt oft schwer – ja, wieso ist man so und nicht heterosexuell, wie der Großteil der Gesellschaft? “Ich bin halt so, ich wurde so geboren”, kann man antworten. Oder: “Wieso bist Du hetero?”
Es gibt mehrere Theorien, woher das Wort “schwul” eigentlich kommt. Im Niederdeutschen wurde schwul wie heute das Wort schwül benutzt: Es bedeutete, dass es drückend warm oder heiß ist. Im 19. Jahrhundert soll dann schwul in Berlin als Bezeichnung für Homosexualität benutzt worden sein: Der Gebrauch des Wortes soll sich von “warmer Bruder” abgeleitet haben.
Aber woher kommt die Homosexualität?
Die Frage, wieso Menschen nicht heterosexuell sind, beschäftigt die Wissenschaft laut “Planet Wissen” bereits seit dem 19. Jahrhundert. Der Wissenschaftler Karl Heinrich Ulrichs entwickelte als einer der Ersten eine Theorie dazu: Er ging davon aus, dass schwule Männer eine weibliche Seele hätten, aber im Körper eines Mannes geboren wurden. Damit wollte er die Liebe zwischen zwei Männern erklären und schuf ein “drittes Geschlecht”. Heute würde man ihn wahrscheinlich sofort canceln, weil das sehr diskriminierend ist, alter weißer Mann. Ulrichs soll Homosexualität allerdings nicht als Krankheit, sondern als angeboren gesehen haben. Für seine Zeit war das fortschrittlich.
Homosexualität ist natürlich
Diese Theorie wurde von einigen Wissenschaftler:innen weiter verfolgt. Der Konsens: Homosexualität sollte nicht bestraft werden, da sie natürlich ist. So dachte auch der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud. Er ging davon aus, dass die hetero- oder homosexuelle Identität in der Kindheit geprägt wird. Er setze sich stark gegen eine Pathologisierung von Homosexualität ein. Freud ging sogar noch weiter und sah jeden Menschen als bisexuell an, die auf einer Skala fungierten: Die einen seien gleichgeschlechtlichem Sex geneigter als andere.
Freud versuchte Homosexualität allerdings so zu erklären: Wenn zum Beispiel ein Vater abwesend war, sei die Wahrscheinlichkeit größer, dass der Sohn schwul würde. Die Lücke, die der Vater hinterließ, soll der Sohn laut Freud mit einem männlichen Partner zu füllen versuchen. Es gibt allerdings sehr viele schwule Männer, die ein gutes Verhältnis zu ihrem Vater haben – viele von Freuds Thesen gelten heute als überholt.
Homosexualität: Genetische Ursachen sind bisher nicht belegt
Weiter wurde die Theorie um das sogenannte “Schwulen-Gen” aufgestellt. Der Amerikaner Dean Hammer glaubte dieses im Jahr 1993 entdeckt zu haben und eine Abweichung des X-Chromosoms festzustellen. Forscher:innen konnten diese These jedoch nicht bestätigen – das “Schwulen-Gen” bleibt weiterhin eine Theorie.
Allerdings fand der amerikanische Wissenschaftler Brian Mustanski heraus, dass das Erbgut auf Chromosomen bei homosexuellen Brüdern übereinstimmt. Davon seien jedoch nicht die Geschlechts-Chromosomen betroffen. Mustanski stellte jedoch fest, dass die Sexualität zumindest zu einem Anteil von DNS-Abschnitten mitbestimmt wird.
2019 kam eine weitere Studie heraus, an der knapp 500.000 Menschen teilnahmen. Die Forschenden kamen allerdings zu dem Schluss, dass die Gene einen schwindend geringen Einfluss auf die sexuelle Orientierung einer Person haben. Sogar fast null.
Heute wird nicht mehr nur eine Prägung als ausschlaggebend für die sexuelle Orientierung gesehen. Die Queer-Theorie sieht zum Beispiel das kulturelle und soziale Umfeld als ausschlaggebend, nicht die biologischen Erbanlagen. Andere Forscher:innen gehen davon aus, dass nicht nur Gene sondern auch vorgeburtliche Faktoren eine Rolle spielen. Fassen wir es kurz zusammen: Es ist kompliziert.
Muss es wirklich eine Ursache für Homosexualität geben?
Denn wieso genau Menschen nun homosexuell sind oder nicht, kann bis heute niemand beantworten. Wir wissen nur so viel: Bei 1500 Tierarten tritt Homosexualität auf und Menschen sind homosexuell, seitdem es Menschen gibt. Vielleicht stellt sich die Frage nach dem Wieso auch gar nicht. Vielleicht müssen wir Sexualität und ihre Herkunft gar nicht erklären und verstehen. Wieso jemand heterosexuell ist, fragt auch niemand. Vielleicht müssen wir Sexualität einfach nur akzeptieren und zelebrieren, egal ob homo, bi, queer oder hetero. Sie ist schön und offensichtlich natürlich – wieso also nicht frei und glücklich damit sein, statt sich den (Wissenschaftler:innen-)Kopf zu zerbrechen?
# Über den Autor
Sebastian Goddemeier ist Autor, Journalist und Sprecher und EIS-Experte für queere Themen. Zum Autorenprofil.
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